Positionspapier

des baden-württembergischen Landesvorsitzenden
und F.D.P.-Präsidiumsmitglied

Dr. Walter Döring

zu:

"Wie die Krise des Föderalismus überwunden werden kann"

Vorbemerkung:

Mit der Revolution von 1848/49 begann in Deutschland eine neue Zeit. Vor 150 Jahren nahm die deutsche Demokratiegeschichte ihren Lauf. Die "Ideen von 1848² waren in erster Linie vom Liberalismus geprägt, so z.B. die Forderung nach Menschen- und Bürgerrechten.

Die Faszination von Demokratie und Freiheit, die in der Paulskirche vor 150 Jahren die Herzen bewegte, ist heute nicht nur eine ferne Erinnerung. Im Gegenteil: Vor uns liegen große und wichtige Reformvorhaben. Institutionen, Strukturen und Ordnungen müssen erneuert werden, so daß die Verantwortung wieder sichtbar wird. In diesen Zusammenhang gehört auch die Diskussion um die Erneuerung des bundesdeutschen Föderalismus.

Der bundesdeutsche Föderalismus bedarf der Erneuerung. Er ist weithin degeneriert zu einem Pseudo-Zentralismus der zweiten Ebene. Hieraus ergeben sich gravierende Probleme, die unser Gemeinwesen erheblich bedrohen:

- Die institutionelle Blockade der Politik führt zur Reformunfähigkeit des Staates.

- Durch eine sog. "Blockadepolitik² scheitert der Wille der Bundesregierung am Veto des Bundesrates, was zu einer Behinderung wichtiger Politikentscheidungen führt.

- Die Länder können keine eigenständige Politik mehr betreiben.

- Die Gemeinden bluten finanziell immer mehr aus.

Diese Tendenzen sind ein Produkt des nicht funktionierenden Föderalismus.

Rentenreform, Reformen des Gesundheitswesens, Steuerreform, Bildungsreform, Rechtschreibreform:

Kaum ein Land, in dem so viel über Reformen gesprochen wird, so viele Reformvorhaben erarbeitet werden, gleichzeitig aber so wenig und das so langsam bewegt wird wie in der Bundesrepublik Deutschland.

Nicht nur Unternehmen stehen miteinander im internationalen Wettbewerb. Auch für Gesellschaften gilt: Selbst wenn man sich nicht verschlechtert, kann man dadurch zurückfallen, daß andere sich verbessern.

Der z.Zt. bestehende Reformstau verhindert Investitionen und schwächt die soziale Marktwirtschaft.

I. Staatliche Institutionen schwächen den Föderalismus

1. Der Föderalismus ist konstitutives Element der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Subsidiaritätsprinzip weist er den Ländern die Erledigung der Aufgaben zu, die dem Bund nicht zukommen. Der Föderalismus ist ein Instrument der Gewaltenteilung, das zentralistische Entscheidungsmacht verhindert. Der Föderalismus verwirklicht sich in den Bundesländern. Sie sind im Bund zusammengeschlossen, trotzdem bewahren sie einen Kern eigener Staatlichkeit, die ihre Handlungsfreiheit auf den Fel-dern garantiert, die nicht dem Bund zugewiesen sind oder nur im Zusammenwirken mit dem Bund geregelt werden können. In der Politik der Ministerpräsidenten tritt dies deutlich hervor. Im Bundesrat vertreten die Länder ihre Rechte und ihre Interessen bei der Gesetzgebung des Bundes.

2. Was im Grundgesetz klar geregelt scheint, verschwimmt in der Verfassungswirklichkeit und ent-zieht sich dem ursprünglichen Verfassungswillen.

Daher der Befund: Der Föderalismus funktio-niert nicht mehr, er wurde entkernt und ausgebeint. Die staatstragende Säule Föderalismus prä-sentiert sich wie von Termiten ausgehöhlt. Um die Statik der Bundesrepublik nicht zu gefährden, wurden neue Streben eingezogen, teils offen durch Änderungen des Grundgesetzes, teils versteckt und schleichend durch Anpassungen der Verfassungswirklichkeit. So stärkte der Gesetzgeber, der Bund und die Länder einvernehm-lich, im Laufe der Jahre die Kompetenz des Bundes um ein Vielfaches, etwa durch die Auswei-tung der Gemeinschaftsaufgaben oder durch die Finanzverfassungsreform. In einem diffusen Prozeß, der neben der Verfassung ablief, besetzten die Parteien die Institutionen und entschieden in den Ländern, im Bundesrat, in den Ministerpräsidenten- und Fachministerkonferenzen nach ihren, meist bundespolitisch dominierten Interessen und Programmen. Die Parteien sind bundesweit flächendeckend organisiert, was ihren Durchgriff erleichtert, während die Länder von Haus aus und zunächst als Solitäre erschienen, die sich horizontal, zum Nachbarland, kaum orientieren müssen und vertikal, zum Bund, nur insoweit, als es das Grundgesetz verlangt.

3. Die Selbständigkeit der Länder, ihre Eigenständigkeit, wurde zweifach beschnitten und zwar

a) durch die Parteien,

b) durch die eigene Bürokratie.

Zu a):

Helmut Kohl entdeckte in der Opposition den Wert des Bundesrates als Blockadeinstrument gegen die Politik der Bundesregierung, die SPD perfektionierte das System. Da heute der Bundesrat bei fast allen wichtigen Gesetzen, die der Bundestag verabschiedet, von Verfassungs wegen mitwirkt, bietet es sich für die Oppositionspartei geradezu an, im Bundesrat über die Länderstimmen ihre Interessen wahrzunehmen. Das Ergebnis ist einerseits die Lähmung der Bundespolitik und andererseits die gänzliche Beschneidung der Eigenständigkeit der Länder durch die Dominanz des Parteiwillens, mithin eine entscheidende Schwächung des Föderalismus.

Zu b):

Die Länder perfektionierten im Wettbewerb mit dem Bund ihre Bürokratien. Grund für die starke Rolle der Bürokratie in den Ländern ist doch zunächst, daß diese die Bundesgesetze ausführen!

Jeder Minister setzte seinen Ehrgeiz darein, den von ihm verantworteten Abschnitt der Politik in ein immer engeres Netz von Gesetzen, Vorschriften, Richtlinien und Erlassen zu zwängen. Wichtigstes Opfer sind neben den Bürgern die Städte und Gemeinden, deren Gestaltungskraft und -willen von der listigen Verknüpfung von Finanzzuweisungen mit der Einhaltung bürokratischer Vorschriften gegen Null gedrückt wird. Die Länderbürokratien verhinderten auch die Verschlankung von Regierung und Verwaltung. Nach den Gemeinde- und Kreisreformen wurde in keinem Land der Bundesrepublik eine Reform der eigentlichen Regierungsarbeit und Regierungsorganisation in Angriff genommen, um höhere Effizienz zu erreichen. Der Reglementierungswut des Bundes und der europäischen Institutionen entspricht der entschiedene Wille der Länderbürokratien, hier nicht hintanzustehen.

4. Ergebnis: Der Föderalismus als Staatsprinzip funktioniert nicht mehr, weil Parteien, Bürokratien und die (in keiner Verfassung vorgesehenen) Koordinations- und Entscheidungskonferenzen den Entfaltungsspielraum der Länder so eingezwängt haben, daß ihr Staatscharakter, ihre Eigenständigkeit völlig unterdrückt wurden. Die Länder treten im Gleichschritt auf der Stelle. Sie denaturieren zu Verwaltungseinheiten von Landkreisqualität.

II. Mehr Dezentralisierung zur Stärkung der Handlungs- und Reformfähigkeit

Föderalistisch organisierte Gemeinwesen haben sich politisch und wirtschaftlich als äußerst erfolgreich erwiesen. In vielen ehemals zentralistisch regierten Ländern - wie z.B. Großbritannien - kennt man heute die Vorteile von Dezentralisierung und echter Subsidiarität und setzt deshalb zukünftig auf entsprechende Elemente.

Deshalb muß auch in der Bundesrepublik Deutschland durch Dezentralisierung und klare Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden dem Prinzip des Wettbewerbs mehr Geltung verschafft werden. Der Druck, das Ausgabeverhalten zu überprüfen, die Kosten staatlicher Leistung zu reduzieren und die Steuerlasten zu mindern, soll erhöht werden. Nur im Wettbewerb untereinander können die staatlichen Institutionen die Akzeptanz ihrer Maßnahmen und ihre Eigeneffizienz überprüfen und verbessern.

Hieraus ergeben sich folgende Forderungen:

- Jede staatliche Ebene erhält mehr eigene Steuerhoheit, so daß es zukünftig - nebeneinander -Bundes-, Länder- und Kommunalsteuern (Grundsteuer, Gewerbesteuer) gibt. Voraussetzung hierfür ist, das bestehende Mischsystem der vertikalen Umverteilung des Steueraufkommens durch ein modifiziertes Trennsystem zu ersetzen. Dem Bund steht dabei das Aufkommen aus den indirekten Steuern (insbesondere der Umsatzsteuer und der Verbrauchssteuern), den Ländern und Gemeinden die Einnahmen aus den direkten Steuern zu. Während die Besteuerungsgrundsätze durch ein Rahmengesetz des Bundes einheitlich geregelt werden könnten, würden die Länder über die Festlegung der Hebesätze in einem verstärkten Wettbewerb untereinander treten.

- Der horizontale Finanzausgleich wird überprüft und reduziert. Wesentliches Ziel muß sein, die wettbewerbsfreundliche Nivellierung durch die Abschöpfungsquoten und Mindestgarantien für finanzschwache Länder auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen. In einem ersten Schritt muß der horizontale Finanzausgleich dadurch entlastet werden, daß die Beseitigung extremer Ungleichgewichte zwischen strukturschwachen und wirtschaftsstärkeren Ländern als eine nationale Aufgabe bereits im Rahmen des vertikalen Finanzausgleiches erfolgt. Dies betrifft nach der Neugliederung der Länder, noch das Verhältnis zwischen dem "alten² und den "neuen² Bundesländern, jedenfalls solange, bis die bestehenden strukturellen Brüche im Kern beseitigt sind. Im zweiten Schritt sind nach einem Wegfall von Sonderbedarfszuweisungen (z.B. für Hafenstädte) die verbleibenden Ungleichgewichte auszugleichen, wobei die Transferquote 50% des verbleibenden Finanzkraftunterschieds nicht überschreiten darf. Faktische Mindestgarantien müssen unter dem Aspekt eines echten föderalen Wettbewerbs entfallen.

- Komplizierte Mischfinanzierungen (z.B. im Hochschulbereich, Wohngeld, Wohnungsbauförderung, Stadtsanierung) werden abgeschafft. Das Gesetzgebungsrecht des Bundes wird zugunsten der Gesetzgebung der Länder reduziert.

III. Reform einer absurden Länderstruktur

Deutschland braucht zum Bestehen im internationalen Wettbewerb durchgreifende Reformen. Hier ist ein ausufernder Staatsapparat mehr als hinderlich. In diesem Zusammenhang sollte auch über eine umfassende Neugliederung der Bundesländer, die von einer grundlegenden Reform des Länderfinanzausgleichs begleitet werden sollte, nachgedacht werden.

Zukünftig erscheint es sinnvoll, aus 16 Bundesländer 9 zu gestalten.

Die Neugliederung muß von einer Neuverteilung der Aufgaben zwischen den föderalen Ebenen und einer Reform der Finanzverfassung und des Länderfinanzausgleichs begleitet werden. Ziel muß die Herstellung von Chancengleichheit zwischen den Ländern sein, nicht die Ergebnisgleichheit. Die Bundesstaatlichkeit schließt immer noch ein gewisses Maß an Ungleichheit ein, das ist Voraussetzung für den konstruktiven Wettbewerb um die besten politischen Lösungen.

IV. Ausbau des Wettbewerbsföderalismus

1. Die Globalisierung und Digitalisierung zwingen nicht nur die Wirtschaft in neue Formen des Wettbewerbs, sondern auch die Länder, die durch die Organisation ihrer "Dienstleistungen², durch ihre Bildungs- und Ausbildungsangebote sowie durch ihre Förderschwerpunkte die Standortfaktoren mit festlegen, an denen sich die Entscheidungen der Wirtschaft orientieren. Der Wettbewerb der Länder untereinander stärkt den Föderalismus, weil er politische Phantasie freisetzt und die Ergebnisse unterschiedlicher Konzeptionen und ideologischer Vorgaben vergleichbar macht.

Erst der Wettbewerb der Länder untereinander setzt den Föderalismus als bewegendes Element des Gesamtstaates wieder in sein Recht.

2. Um die Eigenstaatlichkeit der Länder in der politischen Praxis wieder zu aktivieren und diesen Wettbewerb anzukurbeln, bietet sich eine kleine und eine große Lösung an. Die kleine Lösung erfordert keine ins Gewicht fallenden staatsrechtlichen Vorkehrungen, sondern nur Mut, sie kann von jedem Land sofort angegangen werden. Die große Lösung verlangt allerdings einschneidende Änderungen des Grundgesetzes und damit die Mitwirkung der Länder und des Bundes.

Bei der kleinen Lösung scheidet das Land aus der Ministerpräsidenten-Konferenz und aus den Fachminister-Konferenzen aus. Das Land prüft parallel, welche

Staatsverträge, die auf Initiative dieser Konferenzen geschlossen wurden, gekündigt werden oder weiter in Kraft bleiben.

Mit Ausnahme der Kündigung von Staatsverträgen braucht die Landesregierung für diese Entscheidungen keine Mehrheit des Landtags. Sie ist in ihrem Entschluß frei.

Das Land Baden-Württemberg und der Freistaat Bayern legen ihre lang angekündigten Klagen gegen den Länderfinanzausgleich umgehend dem Bundesverfassungsgericht vor, um die übermäßigen Beiträge der Zahler-Länder in absehbarer Zeit und nicht in Fünfzig-Jahres-Schritten auf ein vertretbares Maß zurückzuschneiden. Im Urteil müßte auch zum Ausdruck kommen, daß sparsame Länder nicht mit unvertretbar hohen Zahlungen im Finanzausgleich bestraft werden dürfen, daß also ein Land, das sich z.B. eine Null-Neuverschuldung als politisches Ziel gesetzt hat, nicht besonders hohe Summen abzuführen hat. Es wäre ebenfalls nicht im Sinn einer Stärkung des Föderalismus, wenn der Bund für die Verluste der Nehmer-Länder eintreten müßte. Der Streit um den Finanzausgleich könnte am Ende der Schlüssel für die dringend gebotene Neugliederung der Länder sein.

3. Kulturpolitik ist Ländersache, Kultur ist der Ruhm und das Markenzeichen der Länder. Mit der kleinen Lösung wird ihre Kulturpolitik wenigstens aus den Fesseln der Kultusministerkonferenz (KMK) befreit. Die Länder werden wieder Herren ihrer ureigenen Sache. Diese Herrschaft wird nicht überall willkommen sein, denn sie verlangt die Entwicklung eigener Ideen und Initiativen und eine Vorstellung davon, was Kultur bringen kann und leisten soll. Die Kulturpolitiker in Parteien und Ministerien sind aber nicht mehr gewohnt, Kulturpolitik auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung zu formulieren und zu vertreten. Immerhin läßt sich in letzter Zeit beobachten, daß sich einzelne Länder für ihre Schul- und Hochschulpolitik die Freiheit nehmen, die ihnen die KMK läßt.

Der Einwand, eine eigenständige Schul- und Hochschulpolitik führe zur Provinzialisierung des Ausbildungswesens, sticht nicht. Im Kommunikationszeitalter steht der Entwurf Schleswig-Holsteins sofort in der Kritik der Rheinland-Pfälzer oder der Bayern und kann auf Grund von Elterneinsprüchen, Lehrereinwänden, Studenteninterventionen oder Professorenbedenken nachgebessert werden - oder er wird aus eigener Einsicht und nach eigenem politischem Verständnis verteidigt. Am Ende eines längeren Prozesses stehen in der Bundesrepublik keine 16 unterschiedlichen, inkompatiblen Schul- und Hochschulmodelle, sondern, mit Varianten, drei oder vier, die sich in ihrer Leistungskraft vergleichen lassen. Der Wettbewerb, der heute nur sehr eingeschränkt möglich ist, wird die Schul- und Hochschulpolitik der Länder ganz außerordentlich befruchten.

Im übrigen bleibt es ja jedem Land freigestellt, ob es seine Schulpolitik eher als Funktion der Sozialpolitik sieht und deshalb möglichst viele Schüler zum Abitur führen will oder ob es von unterschiedlichen Begabungen unterschiedliche, den jeweiligen Leistungen angenommene Abschlüsse abfordert. Auf jeden Fall ermöglicht es erst eine differenzierende Schulpolitik, wenigstens in einigen Ländern schnell die peinlichen Leistungsdefizite zu beheben, die bei internationalen Erhebungen bei deutschen Schülern festgestellt worden sind.

4. Weit weniger Befreiung bringt die kleine Lösung den Ländern für ihre Hochschulpolitik. Sie hängt nicht so sehr an den Beschlüssen der KMK als vielmehr

5. am Hochschulrahmengesetz, das ein erhebliches Mitspracherecht des Bundes beinhaltet. Das ist bedauerlich, denn auch die Hochschulpolitik gehört eigentlich in die originäre Zuständigkeit der Länder. 1968 wurde sie für das Linsengericht von Fördermitteln aus der Bundeskasse dahingegeben.

6. Die Bedeutung der anderen Fachministerkonferenzen ist für die Landespolitik eher bescheiden. Beschlüsse können oft nur über den Bundesrat wirksam werden, es genügen also die einschlägigen Ausschüsse des Bundesrats, um Wichtiges anzustoßen oder durchzusetzen. Doch könnte das Ausscheiden eines Landes aus den Fachministerkonferenzen doch immerhin dazu führen, die daraus entstandenen Gesetze und Verordnungen kritisch auf Sinn und Notwendigkeit zu überprüfen: Die Verschlankung des bürokratischen Systems wird sich dann im Wettbewerb mit den anderen Ländern wieder als Standortvorteil bemerkbar machen.

Da mit Ausnahme der Kulturpolitik und der inneren Sicherheit alle wichtigen Zuständigkeiten beim Bund liegen, entwickelten sich die Fachministerkonferenzen vor allem zu Spielwiesen der Bürokratie, die hier ihre Uniformierungen für Normen oder Statistiken oder Rechtsangleichungen durchsetzte. Der Abschied eines Landes aus den Fachministerkonferenzen reduzierte zumindest den bürokratischen Ausstoß. Das wäre nicht viel, aber immerhin etwas.

V. Föderalismus pur - die radikale Lösung

1. Nur mit einer großen Lösung lassen sich die politischen Ebenen des Bundes und der Länder trennen, nur über sie kann jeder Ebene die Eigenständigkeit zurückgegeben werden, und nur sie verschafft den Ländern wieder ihr angestammtes Profil. Diese Lösung erfordert mehrere Änderungen des Grundgesetzes.

In der sentimentalen Rückschau verklären sich die Leistungen der Großen Koalition zwischen 1966 und 1969. In Wirklichkeit verwischten ihre Entscheidungen vor allem die Zuständigkeiten. Durch die damals im Grundgesetz verankerten Gemeinschaftsaufgaben mischte sich Bundes- und Länderkompetenz mit dem heute beklagten Ergebnis, daß parteilich gleichgefärbte Länder über den Bundesrat Entscheidungen der Bundesregierung und des Bundestages blockieren können. So wurden zum Beispiel die Gemeinschaftsaufgaben und die gemeinsamen Steuerarten zu einem Vehikel, das nicht Landesinteressen, sondern Parteiinteressen transportiert. Andererseits spricht der Bund als anteiliger Finanzier über Fragen mit, die in der alleinigen Zuständigkeit der Länder weit besser aufgehoben wären.

2. Die Mischfinanzierung von Projekten der Länder mit Mitteln des Bundes resultierte aus der finanziellen Schwäche einzelner Bundesländer, die sich außer Stande sahen, zum Beispiel den notwendigen Ausbau der Hochschulen mit ihren

Haushaltsmöglichkeiten zu finanzieren. So rutschten auch weitere, eigentlich originäre Länderzuständigkeiten wie die Wirtschafts-, Agrar- oder Städtebauförderung mit Hilfe der anteiligen Bundesgelder in Bundesmitspracherechte. Anzumerken ist, daß damals auch die reichen Länder gern bereit waren, sich ureigene Aufgaben vom Bund bezahlen zu lassen, eine betrübende Geschichte.

Um Länder mit vergleichbarer Leistungskraft zu schaffen, ist eine Änderung des Grundgesetzartikels 29, der die Neugliederung des Bundesgebietes regelt, dringend geboten. Einerseits leuchtet ein, daß das Saarland oder Mecklenburg-Vorpommern nie und nimmer leisten können, was von einem Bundesland erwartet wird. Andererseits ist nicht denkbar, daß die Bürger des Saarlandes oder Mecklenburg-Vorpommerns in den vorgesehenen Volksabstimmungen der Abschaffung ihrer Länder zustimmen, sie mögen so pleite sein, wie sie wollen. Die Zustimmung wird auch dann nicht zu erreichen sein, wenn die Neugliederung per Staatsvertrag, also mit Zustimmung der einheimischen Gremien, und nicht durch Bundesgesetz ins Auge gefaßt werden sollte.

In einer Neufassung des Artikel 29 muß die Beteiligung an einer Volksabstimmung nicht nur den Betroffenen, sondern allen Bundesbürgern geöffnet werden. Sie sind zur Mitbestimmung berechtigt, weil es im Interesse und in der Verantwortung des Gesamtstaates liegt, Länder mit vergleichbarer Leistungskraft zu schaffen.

3. Zur Klärung der Bundes- und der Länderkompetenzen gehört die eigene Steuerautonomie der Länder. Dazu muß der Grundgesetzartikel 106 Absatz 3 geändert werden, in dem die Gemeinschaftssteuern beschrieben sind. Ein einleuchtender Vorschlag ist, dem Bund das Aufkommen der Verbrauchssteuern, den Ländern den Ertrag der direkten Steuern zuzuweisen.

Und was steht der Verwirklichung des Gedankens entgegen, den Einkommenssteuertarif zu senken und es den Ländern zu überlassen, darauf eigene Zuschläge für bestimmte Zwecke (Hochschulbau, Straßenbau, mehr Lehrer, mehr Polizisten) zu erheben: Auch über solche Vorgaben entsteht Wettbewerb, wird der originäre politische Wille Baden-Württembergs oder Hessens deutlich, der sich von den Vorstellungen Bayerns oder Sachsens sichtbar unterscheiden mag. Durch ein solches Instrument entsteht lebendiger Föderalismus.

4. Wer das föderalistische System neu positionieren will, kommt nicht darum herum, auch den Artikel 91 a zu reformieren, um zumindest den Ausbau und den Neubau von Hochschulen samt ihren Kliniken wieder in die Hand der Länder als eine ihrer ureigenen Aufgaben zurückzugeben.

Schwer nachvollziehbar ist, daß die Länder im Artikel 75 dem Bund mit dem Hochschulrahmenrecht Mitspracherechte (und gleichzeitig natürlich Mitzahlpflichten) zugestanden. Die Kultur und Wissenschaft sind das Herzstück der Länderkompetenz, die Gestaltung der Hochschulpolitik ein zentraler Teil daraus. Man muß über die Weiterentwicklung und Neubelebung des Föderalismus nicht

weiter diskutieren, wenn nicht alle Zuständigkeiten für die Hochschulen wieder ungeteilt und ungeschmälert in die Obhut der Länder zurückkehren.

Ob die im Artikel 91 a ebenfalls geregelte Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstrukturen zu den Pflichten des Bundes gehört, möchte man füglich bezweifeln. Schließlich läßt sich dieser Zweck auch über die Mittel des Länderfinanzausgleichs erreichen: Ein Land, das damit nicht zurecht kommt, steht sowieso zur Neugliederung an.

5. Wer die Gestaltungskraft und die Gestaltungsfreiheit der Bundesländer wieder stärken will, muß aber auch darauf pochen, daß die Länder ihrerseits ihre Grenzen beachten. Daß die Länder dem Bund mit Artikel 23 des Grundgesetzes Mitwirkungsrechte in der EU (Bildung, Sicherheit, Sozialpolitik) abpreßten (um erst unter dieser Bedingung dem Vertrag von Maastricht zuzustimmen), war ein Akt reiner Hochstapelei: Auch mit Hilfe dieses Artikels rücken die Länder nicht zu unmittelbaren Subjekten des Völkerrechts auf, wie sich das manche Staatsmänner zum Beispiel in Bayern erhoffen. Trotzdem: Die Regionen (=Länder) prägen die gesellschaftliche und ökonomische Wirklichkeit in Europa maßgeblich mit.

Der einschlägige Verfassungsartikel ist auch in der Sache mißlungen. Wenn sich nämlich die Länder auf eine gemeinsame Haltung nicht einigen können, wird ein deutscher Standpunkt in dem europäischen Gremium eben nicht sichtbar. Also scheitert das Recht der Länder, in der EU wenigstens am Rande mitzubestimmen, an einem selbstgewollten Verstoß gegen das föderative Prinzip, das den Zwang zu einem einheitlichen Auftritt eigentlich seiner Natur nach nicht kennt. Die Länder wären deshalb gut beraten, im Sinne säuberlicher Scheidung der Zuständigkeiten die Ansprüche aus Artikel 23 wieder aufzugeben.

6. Die Blockadepolitik der Parteien im Bundesrat beleuchtet die unbefriedigende Situation, daß sich überhaupt in den Institutionen des Staates der Einfluß der Parteien über Gebühr und ohne Kontrolle und am Willen der Verfassungsväter vorbei breit gemacht hat. Der Grund dafür liegt darin, daß der Status der Parteien im Grundgesetz nur sehr randständig geregelt ist.

Wer "Föderalismus pur" durchsetzen will, kommt ohne erhebliche Eingriffe ins Grundgesetz nicht aus. Wenn sich aber verfassungsändernde Mehrheiten für den "Föderalismus pur", für die große Lösung, finden lassen, dann ist der Schritt zu einer grundsätzlichen Überprüfung der Verfassung nicht mehr weit.

Schon nach der Wiedervereinigung mühte sich eine aus Vertretern des Bundes und der Länder zusammengesetzte Kommission um Korrekturen am Grundgesetz. Das Ergebnis war mehr als dürftig. Ein befriedigendes Ergebnis war auch nicht gewollt, weil die Politik zu ängstlich war. Vor allem der Westen fürchtete Änderungen.

Das Grundgesetz wurde von Parteien, Wissenschaftlern und Medien tabuisiert, um einer Diskussion über eine grundsätzliche Neufassung auszuweichen. Die zahlreichen Änderungen sind aber ein deutliches Indiz dafür, daß die Verfassung den Ansprüchen der Gegenwart nicht mehr genügt.

Das Grundgesetz wurde aus den Erschütterungen des Zusammenbruchs und im Erschrecken vor den nationalsozialistischen Verbrechen geschrieben. Das erklärt die lapidare Festlegung vieler Einzelpunkte, die im Lichte aktueller Erfordernisse nur unter verfassungsrechtlichen Verrenkungen mühsam korrigiert und an neue Umstände angepaßt werden müssen.

Ernst Benda stellt am 24. Februar 1998 im "Handelsblatt" fest: "Das Grundgesetz entwickelt sich, entgegen der Funktion einer Verfassung, zur Geschäftsordnung und Dienstvorschrift für Politik. Die Artikel 16 a, 23 und neuestens der Artikel 13 GG (Lauschangriff) schreiben in monströser Weise politische Entscheidungen fest, die damit dem Willen der jeweiligen politischen Mehrheit entzogen werden. Damit wird Blockademöglichkeit verfassungsrechtlich festgeschrieben... Notwendig wäre eine Rückbesinnung auf die Aufgabe einer Verfassung: den Grundkonsens zu sichern und der Politik den Freiraum zu verschaffen, im dem sie gestalten kann."

Es ist nicht zu erwarten, daß jetzt schnell eine zügige Verfassungsdiskussion in Gang kommt. Doch wird die deutlich breiter werdende Diskussion über den Föderalismus, in der nicht mehr bestritten wird, daß dringender Reformbedarf besteht, eine Debatte über die Zukunft des Grundgesetzes auslösen. Das hat auch Logik: Die alte Bundesrepublik unterscheidet sich vom wiedervereinigten Deutschland sehr viel entschiedener, als es auf einen ersten Blick den Anschein hat und auch unverdrossen behauptet wird.

Der Einstieg in eine breite Diskussion über die Zukunft des Föderalismus kann der Beginn einer allgemeinen Modernisierungsdebatte sein, die für die Bundesrepublik dringend notwendig ist und vor der sich die Politik bisher gedrückt hat. Von dieser Debatte kann der "Ruck" ausgehen, den der Bundespräsident von der Gesellschaft fordert.

VI. Die Zukunft der Landtage

1. Den Bedeutungsverlust der Länder spüren vor allem die Landtage:

Ihr Bedeutungsverlust übertrifft noch den der Landesregierungen. Das Regierungshandeln nach innen konzentriert sich im wesentlichen auf bürokratische Verfahren und Entscheidungen, die von den Parlamenten nicht beeinflußt werden. Für die Entscheidungen der Regierungen im Bundesrat, die für das Selbstverständnis und für die Interessen des Landes ja besonders wichtig sind, steht den Landtagen ein Mitsprache- oder Mitwirkungsrecht praktisch nicht zu. Bei der Ratifizierung von Staatsverträgen ist die Rolle der Landtage auf ein schlichtes "Ja² oder "Nein² reduziert, eine materielle Mitwirkung findet nicht statt.

Da außerdem alle wichtigen Landesbereiche schon lange per Gesetz geregelt sind, bleibt den Landesparlamenten nur eine bescheidene gesetzgeberische Kompetenz. Sie dürfen den Haushalt beraten, doch dabei können sie höchstens Summen im

Promille-Bereich verschieben, die weitere gesetzgeberische Arbeit ist eigentlich zu vernachlässigen.

Das kommt davon: Der kooperative Föderalismus ist eben ein reiner Föderalismus der Exekutive, er entzieht den Länderparlamenten die Substanz. Ein deutliches Beispiel bietet die Rechtschreibreform, die ja sehr direkt in den Schulalltag eingreift, also originäre Landesinteressen betrifft, die aber per ordre de mufti, sprich durch die Kultusministerkonferenz geregelt wurde.

Trotzdem eifern die Landtage in fast grotesker Weise dem Bundestag in Geste und Habitus nach. Sie entwickeln den Eifer des Hamsters im Laufrad, ohne das politische Geschäft auch nur um Zentimeter voran zu bringen.

Der hessische Landtag und der Landtag von Rheinland-Pfalz erkennen die Misere und suchen nach Wegen, ihr zu entkommen. Ihre Beratungen erreichten allerdings noch kein diskussionsfähiges Ende. Die hessische Enquete-Kommission "Künftige Aufgaben des hessischen Landtags an der Wende zum 21. Jahrhundert" denkt über Themen wie die Einführung einer Gesetzesfolgenabschätzung durch den Landtag nach und will die Mitwirkungsrechte des Parlaments an der europäischen Politik stärken. Hier sollten die Ergebnisse abgewartet werden, dann sollte eine entsprechende Kommission auch in Baden-Württemberg installiert werden.

2. Ganz unabhängig von der Frage, ob sich die Landesregierungen zur oben beschriebenen kleinen oder großen Lösung bei der Wiedergewinnung von Souveränität bequemen - die Landtage täten gut daran, bei den Überlegungen zu ihrem Selbstverständnis eine ganz andere Denkrichtung einzuschlagen. Ihre, neben der Beratung und Verabschiedung des Haushaltsgesetzes, wichtigste Aufgabe ist die Wahl des Ministerpräsidenten, in manchen Ländern die Wahl der ganzen Regierung. Der große Rest ist von ziemlicher Unerheblichkeit und trägt im Ernst keine ganze Legislaturperiode.

Selbst bundesweit beachtete Auseinandersetzungen wie zum Beispiel die in Nordrhein-Westfalen um den Braunkohleabbau Garzweiler II finden nur scheinbar und pro forma im Landtag statt, entschieden wird der Konflikt in der Regierung selbst oder im von der Verfassung nicht vorgesehenen Koalitionsausschuß. Die Beiträge der Fraktionen im Parlament waren nichts anderes als pflichtgemäße Bemühungen und vor allem zur Unterrichtung und Beeinflussung der Öffentlichkeit gedacht. Auch wenn es unbestritten wichtig ist, daß dieser für Nordrhein-Westfalen herausragende Streit durch Landtagsdebatten transparent gemacht wird - wenn man die Sache analysiert, kommt man umgehend zum Ergebnis, daß die Beteiligung des Landtags nichts verändert hat.

Die politische Zukunft des Landtages liegt nicht im permanenten Versuch, sich als Kopie des Bundestages zu präsentieren. Er sollte vielmehr die gesetzgeberische Tagesarbeit (soweit sie anfällt) und die Kontrolle der Regierung einem Hauptausschuß überlassen und sich im übrigen grundsätzlichen Überlegungen zuwenden, zum Beispiel der Frage, welche Lerninhalte für die Schulen entbehrlich oder unverzichtbar sind, welche Verwaltungsformen und welche Verwaltungsreform

dem Lande angemessen wären oder welche Förderung der Landwirtschaft denkbar oder notwendig wird.

Versteht sich der Landtag wie oben beschrieben, kommt auch ein Element des Wettbewerbs in die Parlamentsarbeit, seine Diskussionsinhalte werden wie seine politischen Schlußfolgerungen in anderen Ländern aufgegriffen und diskutiert.

VII. Für ein Bundeskultusministerium

1. Nach Verfassungslage ist die Sache der Kultur den Ländern aufgegeben. Wie beschrieben, übertrugen sie aber dem Bund auch auf diesem Feld wichtige Mitwirkungsrechte, wie sie auch auf Rechte der eigenen Souveränität verzichteten, als sie sich dem Konsens in der Ministerpräsidentenkonferenz und der Kultusministerkonferenz unterwarfen. Aber um ein Gebiet, das ganz gewiß nicht zuletzt auch zu ihren Kernaufgaben gehört, kümmerten sie sich in unzulänglichster Weise, nämlich um die Repräsentanz, die Förderung und Gestaltung der nationalen Kultur. Und die muß da stattfinden, wo sie seit der Wiedervereinigung hingehört, nämlich in der Bundeshauptstadt Berlin.

Der Bund nahm (in Gestalt von Bundeskanzler Helmut Kohl) schon länger die Dinge selber in die Hand und baute, etwas am Grundgesetz vorbei, in Bonn die Bundeskunsthalle und das Haus der Geschichte und richtete in Berlin das Deutsche Historische Museum ein, Institute, die eigentlich die Länder installieren und betreiben müßten, die kulturpolitisch nicht nur eine horizontale, sondern auch eine vertikale Verantwortung tragen. Die Länder werden diesem Auftrag nicht gerecht, sie nahmen ihn nicht einmal in Angriff. Sie drückten sich vor der Aufgabe.

Der Bund beteiligt sich in erheblichem Maß an der Kulturstiftung der Länder, die den Erwerb herausragender Kulturzeugnisse zugunsten der regionalen Museen und Institute finanziert, er beteiligt sich etwa zur Hälfte an den Kosten des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, an der Stiftung Weimarer Klassik, an den Bayreuther Festspielen etc. Und er finanziert die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu drei Vierteln.

Seit Bestehen der Bundesrepublik beweisen die Länder, daß sie weder in der Lage noch willens sind, die Interessen der gesamtstaatlichen kulturellen Repräsentanz wahrzunehmen, zu vertreten und zu bezahlen. Sie brachten es nicht fertig, die Interessen der nationalen Kultur zu organisieren, sei es als der Ministerpräsidentenkonferenz nachgeordnete Dienststelle, sei es als Stiftung, die von den Ländern allein finanziell auszustatten, zu organisieren und zu betreiben wäre. Im Sinne der Präambel des alten Grundgesetzes hätten sich diese Bemühungen natürlich in Berlin, in Ausnahmefällen in Bonn, konkretisieren müssen.

Doch stand der regionale, provinzielle Neid solchen Absichten, so sie es denn je gegeben hätte, unüberwindbar entgegen.

Nachdem sich das Bonner Provisorium durch die Wiedervereinigung erledigt hat, muß dem Bund in Berlin eine eigene Kompetenz in der nationalen Kulturpolitik zugestanden werden, die sich nicht nur in gewaltigen finanziellen Beiträgen erschöpft.

2. Dem Bund kann angesichts der Lasten, die ihm durch das Versagen der Länder zugemutet werden, die Einrichtung eines Bundeskulturministeriums nicht verwehrt werden. Ob dieses Amt in das Bundesbildungsministerium eingegliedert wird oder selbständig agiert, ist eine eher nebensächliche Frage.

Viel wichtiger ist auch hier im Zuge der großen Lösung einer Verfassungsreform die Entflechtung der kulturellen Aufgaben von Bund und Ländern. Die gesamtstaatliche kulturelle Repräsentanz muß beim Bund angesiedelt werden. Das heißt in erster Linie, daß die Rechte und die Pflichten der Länder an der Stiftung Preußischer Kulturbesitz als dem gewichtigsten Fundus entfallen.

Im Gegenzug fällt den Ländern die alleinige Finanzierung der Kulturstiftung der Länder zu, sowie dem Sitzland allein oder einer Kooperation aller oder einiger Länder die Betreuung und Finanzierung der bedeutenden überregionalen Institute, die bisher wesentlich vom Bund mitfinanziert werden (gedacht ist an Weimar, Marbach, Wolfenbüttel etc.). Diese Last ist leistungsstarken Ländern zuzumuten, in einer Kooperation aller Länder auch zu bewältigen.

VIII. Reform des Grundgesetzes

1. Wettbewerb ist im Zeichen der Globalisierung die entscheidende Chiffre der Zukunft für alle Politik. Im Gegensatz zu dieser Grundforderung lähmen sich die Länder selber durch ihre Einbindung in die Ministerpräsidenten- und Fachministerkonferenzen, in denen das langsamste Schiff das Tempo des Geleitzuges bestimmt.

Der Wettbewerb untereinander verkümmert, die Leistungsfähigkeit der starken Länder wird deshalb nicht gefördert, sondern behindert. Weil den Ländern das Selbstbewußtsein und der Wille zu eigener Gestaltung ihrer Politik abhanden kamen, strahlen sie Langeweile aus. Sie versuchen, diesen Eindruck durch hektische Betriebsamkeit auf Bundes- oder auf europäischer Ebene, auf denen sie nichts verloren haben, zu verwischen.

Die Bürger nehmen die Länder nur noch als Verwaltungseinheit wahr. Doch damit sind sie unterfordert, übrigens auch ihr politisches Personal. Wird die Eigenständigkeit der Länder wieder gestärkt, drängen die politischen Begabungen nicht nur zum Bund, sondern werden auch im Land mitgestalten wollen.

2. Um sich wieder Freiräume für eigene Politik zu schaffen, müssen die Länder ihre Teilnahme an der Ministerpräsidentenkonferenz und an den Fachministerkonferenzen kündigen und außerdem prüfen, welche Staatsverträge

oder andere bindende Verabredungen aus der Vergangenheit ebenfalls zu kündigen oder einseitig aufzulösen sind.

Ihre ganze Freiheit bekommen die Länder aber erst mit einer Reform des Grundgesetzes zurück, mit der die Vermischung von Bundes- und Landeszuständigkeiten wieder zurückgenommen wird und die Länder vor allem auf dem Gebiet der Kulturpolitik wieder in ihre alten Rechte eingesetzt werden. Ebenfalls ist wieder die Trennung der Steuerarten anzustreben. Die Verbrauchssteuern sollen künftig dem Bund, die direkten Steuern den Ländern zufließen.

Schließlich ist dringend geboten, den Artikel 29 des Grundgesetzes zu ändern, der mit seinem jetzigen Wortlaut die Neugliederung des Bundesgebietes verhindert und es dadurch unmöglich macht, in etwa gleich starke und handlungsfähige Länder zusammenzufügen.

Wer dem im Grundsatz richtigen und nach seiner Idee vortrefflichen föderativen System wieder neue Geltung verschaffen will, kommt schnell zu dem Schluß, daß es, nicht zuletzt durch die Wiedervereinigung, notwendig wurde, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland neu zu formulieren.

IX. Für ein modernes Deutschland

Die ökologischen, ökonomischen und sozialen Probleme Deutschlands lassen sich besser lösen, wenn alle Kräfte gebündelt werden und die staatlichen Systeme auf ein solides Fundament gestellt werden. Dezentralisierung und Subsidarität sind die entscheidenden Stellgrößen für einen wirksamen Föderalismus in Deutschland .

Das Verhältnis von Bund, Ländern und Gemeinden muß reformiert werden. Die Bürgernähe und die Stärkung von mehr Eigenverantwortlichkeit sollten dabei im Mittelpunkt stehen.

In unserer Gesellschaft findet z.Zt. eine tiefgreifende politisch-gesellschaftliche Auseinandersetzung statt. Es geht immer auch um die Frage nach dem Leitbild für die Zukunft unseres Landes. Im Mittelpunkt dieser Überlegungen muß der Mensch stehen, seine individuelle Freiheit und die Sicherung der Lebensgrundlagen. In diesem Zusammenhang spielt die Reform des föderalen Systems eine herausragende Rolle.