Innovation, Flexibilität und Qualifikation Forderungen einer liberalen Arbeitsmarktpolitik

(Beschluss des 89. Ordentlichen Landesparteitages am 5. Januar 1998 in Stuttgart)

I. Bildung sichern - Chancen nutzen - Arbeitsplätze schaffen

Deutschland befindet sich wie alle Industrieländer in einem fundamentalen Strukturwandel der gesamten Gesellschaft, der sich in erster Linie in einem Strukturwandel von Wirtschafts- und Arbeitswelt verdeutlicht.

Vor allem zwei Faktoren bestimmen dabei das Tempo und die Richtung dieses Wandels: die zunehmende Globalisierung der Weltwirtschaft und die fortschreitende Entwicklung der Informationstechnologie. Dadurch sind bereits starke strukturelle Veränderungen nach Wirtschaftszweigen, Tätigkeitsfeldern und Qualifikation eingetreten. Die Tertiarisierung des Wirtschaftsgeschehens ist sichtbares Zeichen, verbunden mit einer Erhöhung der Qualifikationsanforderungen. Das Zusammentreffen einer sich an alte Ordnungsmuster und Besitzstände festklammernden Gesellschaft mit einer neuen, schöpferischen Unordnung am Weltmarkt verdeutlicht die strukturellen Verkrustungen unseres Standortes zunehmend, die negative Folge ist Massenarbeitslosigkeit.

Ziel muss es daher in erster Linie sein, diese Verkrustungen, die den erfolgreichen Strukturwandel behindern, zu beseitigen. Der erwartete Wirtschaftsaufschwung alleine wird nicht ausreichen, um Arbeitslosigkeit zu mindern, denn auch in Zukunft muss von einer Abkopplung von Produktionsaufschwung und Arbeitslosigkeit ausgegangen werden, d.h. auf eine bereits heute hohe Sockelarbeitslosigkeit droht sich ein neuer Schub von Dauerarbeitslosigkeit aufzubauen.

Arbeitslosigkeit hat schlimmste Auswirkungen auf die betroffenen Menschen,

auf die sozialen Sicherungssysteme und auf den Zustand der gesamten Gesellschaft. Die Bewältigung der Arbeitslosigkeit stellt somit eine der brisantesten wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Herausforderungen an die Politik dar.

Die künftige Arbeitsmarktentwicklung wird im wesentlichen davon abhängen, wie schnell Wirtschaft und Gesellschaft auf diese Herausforderungen reagieren und wie erfolgreich der nötige Strukturwandel umgesetzt werden kann.

Die F.D.P/DVP Baden-Württemberg stellt sich ihrer Verantwortung.

Durch politischen Gestaltungswillen, das Aufbrechen alter Strukturen und solide arbeitsmarktpolitische Konzepte, vor allem aber durch mehr Markt im Arbeitsmarkt, einer angepaßten Qualifizierung und der Bereitschaft zur Innovation müssen die Weichen für eine langfristige Steigerung der Beschäftigung in Deutschland gestellt werden, um so das Vertrauen der Gesellschaft in die Politik wieder zu stärken.

Mehr Arbeitsplätze in Deutschland sind keine Utopie, wenn der bestehende Strukturwandel als Chance begriffen wird.

Die Strategie der baden-württembergischen Liberalen für mehr Beschäftigung wird folgende Mißstände angehen:

1. Überproportionale Kostenbelastung des Faktors Arbeit

2. Fehlsteuerung im Verhältnis von Arbeitsmarkt und Transfersystem

3. mangelnde Anpassung an den sektoralen Strukturwandel und damit

verbunden mangelnde Akzeptanz eines gewandelten Arbeitsbegriffs.

4. Fehlqualifikation der Arbeitsuchenden.

II. Staat und Markt

Dem Staat fällt bei der Gestaltung des Strukturwandels eine besondere Verantwortung zu. Dabei müssen sich die arbeitsmarktpolitischen Akzente an folgenden Forderungen orientieren, um überkommene und Trägheit fördernde Strukturen aufzubrechen und damit ein schnelles Reagieren auf das Marktgeschehen zu ermöglichen.

1. Forderung: Mehr Markt auf dem Arbeitsmarkt

Reform der Tarifverträge, Investivlöhne und Lohnspreizung

Die grundgesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit und die damit verbundene Tarifautonomie haben Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in den letzten Jahrzehnten in verantwortungsvoller Weise ausgefüllt. Sie haben damit zu einem großen Teil zum wirtschaftlichen Erfolg und sozialen Frieden in Deutschland beigetragen.

Die zunehmende Europäisierung und Globalisierung der Wirtschaft und die spezifische Bedürfnislage der ostdeutschen Wirtschaft macht jedoch die volkswirtschaftliche Kartellwirkung des deutschen Tarifvertragssystems deutlich. Der Arbeitsmarkt als der größte "Markt" ist nach wie vor weitestgehend vom Wettbewerb ausgeschlossen. Die Politik der Sozialpartner wird immer stärker zu einem Instrument der Besitzstandswahrung. Leidtragende dieser Entwicklung sind vor allem die Arbeitslosen, deren Interessen von keinem Verband vertreten werden.

Das duale System der Interessensvertretung von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden auf der einen und der betrieblichen Interessensvertretung auf der anderen Seite hat sich bewährt. Die Unternehmensleitungen und die Betriebsräte der einzelnen Unternehmen stehen sachbezogenen Lösungen heute aber oft näher, als ihre Verbandsvertretungen außerhalb der Betriebe.

Die Unternehmen müssen zum Beispiel auf Wettbewerbsvorteile ausländischer Unternehmen reagieren können und sind daher auf kurzfristige Ausweitungen der Arbeitszeit und größere Flexibilität bei Tarifentgelten angewiesen. Insbesondere in Ostdeutschland kann das wirtschaftliche Überleben der Betriebe von solchen Maßnahmen abhängen.

Die Flächentarifverträge können daher mit ihrer Kartellwirkung beschäftigungspolitisch dysfunktional sein. Die Tarifpolitik trägt dieser Entwicklung durch eine Flexibilisierung der Tarifverträge mit den "Öffnungsklauseln" in gewissem Umfang Rechnung.

Die F.D.P./DVP fordert die Tarifpartner auf, dass die nach dem Betriebsverfassungsgesetz bzw. dem Tarifvertragsgesetz möglichen Betriebsvereinbarungen in weit größerem Umfang als bisher auch Vereinbarungen über eine flexiblere Gestaltung von Löhnen und Gehältern, sowie über die Arbeitszeit und Arbeitsorganisation umfassen sollen. Die Tarifvertragsparteien sollen sich in ihren Tarifverträgen auf die Regelung von Rahmenbedingungen beschränken.

Damit wird nicht nur der Wettbewerb zwischen den Betrieben verstärkt, sondern auch die besondere Situation der einzelnen Regionen, Branchen und Unternehmen kann stärker berücksichtigt werden.

2. Forderung: Brücke von Transfersystem und Arbeitsmarkt:

Kombinations-Lohn-Modelle auf dem Weg zum Bürgergeld

Es gibt in Deutschland eine Beschäftigungslücke bei einfachen Tätigkeiten, vor allem im Dienstleistungssektor. Diese Lücke kann nur durch die Öffnung eines Niedriglohnsektors geschlossen werden, der den Produktivitäten der Geringqualifizierten entspricht. Die größere Lohnspreizung ist unabdingbar, um auf die Anforderungen des Marktes zu reagieren.

Die Schaffung eines solchen Niedriglohnsektors setzt aber zur Vermeidung einer Armutsfalle im Niedriglohnbereich die flankierende Reform des Transfersystems voraus. Bisher werden niedrige Löhne durch das bestehende Sozialsystem verhindert. Für diese Niedrigqualifizierten müssen durch Brücken zwischen Transfersystem und Arbeitsmarkt neue Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden.

Derzeit schafft der Abstand von der Sozialhilfe zur untersten Lohngruppe kaum Arbeitsanreize, weil der überwiegende Teil auf den Sozialhilfeansatz angerechnet wird. Ab einem Einkommen von DM 1000 stehen maximal DM 265 des Lohnes dem erwerbstätigen Sozialhilfeempfänger zu. Überdies ist dieser Freibetrag von der Haushaltsgröße abhängig, so dass für alleinstehende Sozialhilfeempfänger der Anreiz zur Arbeitsaufnahme überproportional gering ist.

Ebenso besteht keine Möglichkeit, ihre individuelle wirtschaftliche Lage und die ihrer Kinder zu verbessern. Sie sitzen so in der "Armutsfalle".

Wir Liberalen sind aber der Ansicht: Wer arbeitet soll auch etwas dafür bekommen. Menschen, die jetzt arbeitslos sind, finden so wieder Zugang zum Produktionsprozeß. Für den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist es von eminenter Bedeutung, dass jeder Bürger sich in dieser Gesellschaft gebraucht fühlt. Es ist deshalb wichtig, das Selbstwertgefühl derjenigen, die "draußen" sind, durch die Reintegration in den Arbeitsmarkt wiederherzustellen. Deshalb fordern wir kurzfristig über die Einführung des Kombi-Einkommens (spätestens mit der Reform des BSHG 1999) die nur teilweise Anrechnung des Erwerbseinkommens auf den Transferanspruch.

Als gewollte Konsequenz dieses Systems sollen erwerbstätige Sozialhilfeempfänger trotz grundsätzlicher Bedürftigkeit über ein Haushaltseinkommen oberhalb der Sozialhilfeleistungen frei verfügen können. Jeder Sozialhilfeempfänger, der arbeitet, entlastet die Sozialhilfeträger um DM 10.000 im Jahr.

Wir Liberale setzen diesen monetären Ansatz des finanziellen Anreizes den Forderungen nach erweiterten Arbeitsverpflichtungen für Sozialhilfeempfänger zum Beispiel im Rahmen von Gemeinschaftsarbeiten und der Diskussion um Sozialhilfemißbrauch entgegen.

Dieses Instrument stellt zugleich den Einstieg in das von der F.D.P./DVP vorgeschlagenen Bürgergeldsystem, dem Kernstück des liberalen Sozialstaates, dar.

Das Bürgergeld faßt alle Leistungen der Sozialhilfe zusammen und koppelt diesen Sozialtransfer an das Prinzip einer negativen Einkommenssteuer.

Das Bürgergeld beruht somit auf zwei Komponenten:

(1) Teilanrechnung von Einkommen

Eigene Einkommen aus Erwerbstätigkeit, Rentenzahlungen usw. werden beim Bürgergeld nur zu 50 Prozent auf die Sozialleistungen angerechnet. Durch die Teilanrechnung von Einkommen gibt es Anreize zu eigener Arbeit und Vorsorge. Gleichzeitig werden durch die nur 50prozentige Anrechnung Löhne unterhalb des Existenzminimums ermöglicht. Im Gegensatz zu Lohnkostenzuschüssen wird nicht der Arbeitsplatz gefördert, sondern das Bürgergeld personenbezogen ausgezahlt und richtet sich nach dem Bedarf des jeweiligen Haushalts.

(2) Zusammenfassung von Leistung/Abstimmung mit dem Steuersystem

Statt des Nebeneinanders von Steuerzahlung und Empfang von Sozialleistungen, die von über 38 Behörden ausgezahlt werden, soll der Bürger entsprechend seinem Einkommen entweder einen staatlichen Zuschuß bekommen oder Steuern zahlen. Das Bürgergeld ersetzt idealtypisch alle vorhandenen Transferleistungen, insbesondere die Sozialhilfe, das Kindergeld, das Erziehungsgeld. Hinzu kommen z.B. das Wohngeld, BAföG, Arbeitslosenhilfe sowie sozial motivierte Subventionen für sozialen Wohnungsbau und kommunale Zuschüsse. Die Zusammenfassung von Leistungen kann schrittweise erfolgen.

Nicht integriert werden die Sozialhilfe in besonderen Lebenslagen sowie die

Leistungen aus den Sozialversicherungen. Die Entwicklung des Arbeitsmarktes macht es notwendig, den Schwerpunkt der Umsetzung des Bürgergeld-Systems auf die Arbeitsmarktanreize zu legen. Auf diese Weise wird die Attraktivität und Sozialverträglichkeit gering entlohnter Tätigkeiten für die Arbeitnehmer erhöht, den Arbeitgebern bietet sich so die Möglichkeit, Arbeit nachzufragen, die bisher zu teuer war.

Der Staat würde auf diese Weise Beschäftigungssicherung unterstützen anstatt

Arbeitslosigkeit zu finanzieren.

In diesem Zusammenhang kommt auch der Entkopplung des Sozialversicherungssystems - welches nicht Bestandteil des Bürgergeldes sein soll - von dem Faktor Arbeit besondere Bedeutung für die Senkung der Lohnnebenkosten zu. In den Bereichen der Renten-, Kranken-, Pflege-, und Arbeitslosenversicherung müssen mehr privatwirtschaftliche Elemente eingeführt werden.. Dies betrifft sowohl die Struktur der Versicherungsanbieter als auch die stärkere Betonung privater Eigenvorsorge durch die Arbeitnehmer.

3. Forderung: Abbau bürokratische Staatswirtschaft

Steuer- und Abgabenquote senken, Staatsschulden abbauen, Deregulierung und Entbürokratisierung umsetzen

Das größte Hemmnis für Investitionen und damit für die Schaffung neuer Arbeitsplätze ist die Starrheit vieler Regelungen. Die F.D.P./DVP will mehr Handlungs- und Entscheidungsfreiheit des Einzelnen und weniger Staat.

Gefordert wird eine größere staatliche Zurückhaltung, d. h. der Staat muss sich auf seine ureigensten hoheitlichen Aufgaben beschränken. Seine Aufgabe ist es, Rahmenbedingungen zu setzen. Diese Rahmenbedingungen müssen marktwirtschaftliche Prinzipien fördern.

Durch die Reform des Steuersystems hin zu Steuervereinfachung und Steuergerechtigkeit sowie der drastischen Senkung der Steuersätze, die im internationalen Wettbewerb der Standorte plakative Bedeutung haben, werden konjunkturelle Impulse ausgelöst, die trotz niedrigerer Steuersätze zu erhöhten Steuereinnahmen führen.

Neben der Senkung von Steuern und Abgaben muss eine Senkung der Staatsschulden stattfinden, um so den Kapitalmarkt zu entlasten und zusätzliches Investitionskapital freizustellen.

Notwendig ist eine umfassende Privatisierung, sowie die Streichung von Subventionen. Die augenblickliche Subventionspolitik ist leistungs- und zukunftsfeindlich, sie benachteiligt vor allem den Mittelstand.

Die F.D.P/DVP setzt auf den Mittelstand. Kleine und mittlere Unternehmen gehören zu den innovativsten und motiviertesten, sie sind der Motor der Wirtschaft Baden-Württembergs. Daher muss die Bürokratielast des Mittelstandes weiter abgebaut werden.

Eine längst überfällige Entbürokratisierung der Genehmigungsabläufe für neue Verfahren, aber auch für Firmengründungen trägt dazu bei, dass Deutschland als Investitionsstandort wieder an Attraktivität gewinnt.

Bestrebungen, die dahin führen, einen auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen basierenden "2. Arbeitsmarkt" zu installieren, tragen nicht zur Lösung der Arbeitsmarktsituation bei.

III. Mehr Freiheit im Wirtschaftsleben

4. Forderung: Akzeptanz der Veränderung des Arbeitsbegriffs

Bewußtseinswandel in Politik und Gesellschaft

Ein Umdenken in Politik und Gesellschaft ist erforderlich, um die Anforderungen der Arbeitsgesellschaft des 21. Jahrhunderts zu bewältigen. Die klassische Arbeitsgesellschaft der Vergangenheit mit dem Standardtypus des 40jährigen Vollzeit - Erwerbslebens ist zu Ende. Dazu muss sich der Arbeitsbegriff aber auch im Bewußtsein der Menschen wandeln. Die Politik trägt die große Verantwortung die Menschen auf diesen Wandel vorzubereiten und in der veränderten Arbeitswelt zu begleiten. Die Akzeptanz von Dienstleistungstätigkeiten und einfachen Tätigkeiten muss erhöht werden. Deutschland steht nicht vor dem Ende der Arbeit, aber vor einer Wohlstandswende: Die Realeinkommen werden zurückgehen. Das schließt aber nicht zwangsläufig die Steigerung des verfügbaren Einkommens aus. Die Politik ist gefordert, die Entlastung der Bürger durch die große Steuerreform endlich umzusetzen. Der Staat kann dem Bürger nicht auf Dauer fast die Hälfte des erarbeiteten Einkommens nehmen.

Neue Arbeitszeitmodelle

Arbeitsrechtliche Bestimmungen sind dem neuem Verständnis flexibler Arbeitsmodelle anzupassen.

Durch den Einsatz neuer Arbeitsverfahren, sowie der modernen Kommunikations- und Informationstechnologien ist Arbeit nicht mehr zeitlich noch räumlich gebunden. Neue Arbeitszeitmodelle, Arbeitszeitverkürzungen und intelligente und kreative Arbeitszeitregelungen dürfen daher nicht länger durch Reglementierungen verhindert werden. Flexiblerer Schichtarbeitszeitmodelle, generelle Zulassung der Samstagsarbeit, die stärkere Möglichkeit der Übertragung von Arbeitszeiten von der einen auf die andere Woche bis hin zu Jahres- oder gar Lebensarbeitszeiten sind Forderungen der Änderung des Arbeitsbegriffs. Zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes tragen auch Leih- und Zeitarbeit, sowie Telearbeit und weitere neue Formen der Arbeit bei. Ferner muss durch eine Kombination von Teilzeitarbeit und Teilrente ein gleitender Übergang in den Ruhestand ermöglicht werden. Diese neue Flexibilität führt zu effizienterer Kostenstruktur und schafft mehr Arbeitsplätze.

Die 610 DM-Jobs müssen erhalten bleiben, da sie ein wichtiger Beitrag gegen die beschäftigungsfeindliche Schwarzarbeit sind. Vorzuziehen sind kurzfristige und langfristige Reformansätze im Verhältnis von Arbeitsmarkt und Transfersystem sowie bei der Finanzierung der Sozialversicherungen. Im übrigen würde ein Leistungsanspruch aus einer Versicherungspflicht dieser Beschäftigungsgruppen deutlich unter dem Sozialhilfeniveau liegen. Ein Umstand, der kaum geeignet sein dürfte, die notwendige Eigeninitiative zu fördern.

5. Forderung: Offensive für mehr Selbständigkeit

Existenzgründung und Formen neuer Selbständigkeit fördern.

In Baden-Württemberg wird der größte Teil der Arbeitskräfte von mittelständischen und kleinen Betrieben nachgefragt. Soll dieses Beschäftigungspotential aufrecht erhalten werden, dann müssen Existenzgründungen wieder attraktiver gestaltet und besser gefördert werden. Unternehmerische und freiberufliche Tätigkeit muss als chancenreiche Alternative in einer sich ändernden Arbeitswelt verstanden werden. Die unternehmerischen Leistungen müssen gesellschaftlich anerkannt werden.

Die Gründung von Unternehmen erfordert Kapital. Die Bereitstellung oder Garantieübernahme von Gründungskapital stellt auf diesem Gebiet eine Maßnahme dar, die in anderen Ländern bereits seit langem erfolgreich praktiziert wird. Anreize für die Beteiligung an Wagniskapital muss auch Privatanlegern

gewährt werden.

IV. Bildungspolitik ist Standort- und Wirtschaftspolitik

Bildung, Fähigkeit und Fertigkeit, sowie die Arbeitsmotivation der Arbeitskräfte sind die wichtigsten Produktionsfaktoren des Standortes Baden-Württemberg.

Der momentane Strukturwandel und die damit erhöhten Qualifikationsanforderungen, sowie die nachweisbare Strukturalisierung der Arbeitslosigkeit haben dies verstärkt. Das individuelle Arbeitsrisiko ist um so größer, je geringer die Qualifikation ist, andererseits erhöht die steigende Qualifikation der Beschäftigten die Produktivität, wodurch sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft verbessert, mit entsprechend günstigen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Bildungspolitik ist damit mehr denn je der Schlüssel zur soliden Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik. Aufgabe des Staates ist es, für seine Bürger und Bürgerinnen gleiche Startchancen zu schaffen, sowie zu ermöglichen, dass im Rahmen einer Bildungsoffensive solche Kenntnisse, Fähigkeiten und Verhaltensweisen vermittelt werden, die den Einzelnen befähigen, die Herausforderungen des Wandels mit Eigenverantwortung und Risikobereitschaft zu meistern. Ein solches Verständnis stellt sehr hohe Anforderungen an die Lernbereitschaft der Auszubildenden, vor allem aber an das verantwortliche Lehrpersonal. Der Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern wird in unserer Gesellschaft wesentlich mehr Bedeutung beigemessen werden müssen.

Allgemein sind im Zuge der Entwicklung zu lebenslangem Lernen bedarfsorientierte Weiterbildungsmaßnahmen wichtig, um den Ausbildungsstand an die wechselnden Anforderungen anzupassen.

Die Faktoren des Strukturwandels finden sich auch im Anforderungskatalog an ein modernes Bildungssystem wieder.

6. Forderung: Weitreichende Reformen zur Verbesserung der Ausbildungssituation im Dualen System

Quantitative Bilanzen zur Zahl der momentan untergebrachten Bewerber reichen nicht aus. Zahl und Qualität der vorhandenen Ausbildungsplätze steht und fällt mit der Zahl und Qualität der langfristig gesicherten Arbeitsplätze. Wirtschaft und - als Träger der beruflichen und allgemeinbildenden Schulen - Staat stehen für Arbeit und Ausbildung gleichermaßen in der Verantwortung.

Der Reformstau in zentralen, politisch zu gestaltenden Bereichen der Steuerpolitik, Sozialpolitik, Gesellschaftspolitik usw. wirkt sich direkt auf die Ausbildungssituation aus. Wer hier Reformen behindert, verhindert die strukturelle, dauerhafte Verbesserung der heutigen Ausbildungsmisere.

Die Betriebe dürfen ihre Verpflichtung, die Berufsausbildung im Rahmen eines zu modernisierenden dualen Systems durchzuführen, nicht hinter kurzfristiges Kostenkalkül zurückstellen. Die Ausbildungsfähigkeit und die Ausbildungsbereitschaft der Jugendlichen werden durch einen offenen, realistischen Dialog zwischen ausbildenden Betrieben und abgebenden Schulen gefördert. Ausbildung und Allgemeinbildung sind eine ineinander verschränkte gemeinsame Aufgabe. Ausbildung ist zentrale Zukunftsinvestition.

Die Erhebung einer Ausbildungsabgabe wird aus praktischen und ordnungspolitischen Gründen abgelehnt.

Große Bedeutung kommt der weiteren Entlastung der Betriebe von ausbildungshemmenden Regelungen zu. Die Neudefinition und Neufassung von modernen Berufsfeldern, die im Jahre 1997 Fortschritte gemacht hat, muss weiter beschleunigt werden.

Um auch den mehr praktisch begabten Jugendlichen, die an hohen theoretischen Anforderungen scheitern, eine Berufsfähigkeit zu eröffnen, müssen insbesondere praktisch orientierte, gestufte Ausbildungsgänge entwickelt werden. Anschließende Arbeitsverhältnisse müssen grundsätzlich auf jedem Qualifikationsniveau der Weiterqualifizierung offen stehen.

Zunehmende Bedeutung gewinnen Modelle für eine Verknüpfung von Beschäftigungsverhältnissen und gleichzeitiger oder nachträglicher Qualifizierung, auch für Teilqualifikationen. Dies macht ein verstärktes Zusammenwirken von Schulen, außerschulischen Institutionen, Trägern der Jugendhilfe usw. erforderlich. Ein Schwerpunkt sollte in neuen Formen des Auffangens von Jugendlichen, die aus allen Hilfssystemen herausgefallen sind, liegen: Im "job-shop" dient ein Träger der Jugendhilfe als Agentur für kurz- und längerfristige Beschäftigungsverhältnisse und bietet in den beschäftigungsfreien Zeiten flexible Qualifizierungsmaßnahmen an. Die Jugendlichen werden dabei nicht gezwungen, ein Ausbildungsverhältnis einzugehen.

7. Forderung: Die beruflichen Schulen in ihrer Ausbildungsaufgabe stärken

Die Voraussetzungen für eine möglichst breit angelegte Berufsfähigkeit der jungen Menschen müssen die allgemeinbildenden Schulen schaffen, denen bei der Vorbereitung auf praktische Berufe besondere Verantwortung zukommt. Deshalb muss die Eigenverantwortung der Schule durch erweiterte pädagogische und organisatorische Freiheiten gestärkt werden, die ausdrücklich die Vorbereitung auf die Ausbildung zum Ziel haben: Berufsorientierung als Bestandteil zeitgemäßer Allgemeinbildung. Dabei kommt es darauf an, das Spannungsverhältnis zwischen allgemeinbildenden Inhalten und der notwendigen Einstellung auf Ausbildung und Beruf im Gleichgewicht zu halten. Eine vorweggenommene Spezialisierung auf bestimmte Berufe kommt nicht in Betracht.

Die F.D.P. setzt sich nachdrücklich für die Realisierung kurz- und mittelfristiger Entwicklungsmöglichkeiten ein.

8. Forderung : Internationalisierung der Ausbildung

Offenheit, Mobilität und Internationalisierung fördern

Die Globalisierung des Wirtschaftslebens setzt eine Internationalisierung der Ausbildung voraus. Dies schließt das verstärkte Erlernen von Fremdsprachen ebenso ein wie die Förderung eines umfassenden internationalen Kulturverständnisses. Der Vermittlung einer hohen Mobilitätsbereitschaft kommt dabei besondere Bedeutung zu.

Internationale Austausch- und Forschungsprogramme sind auszubauen. Internationale Bildungs- und Hochschuleinrichtungen und Ausbildungsabschlüsse sind verstärkt zu fördern.

Kooperationsmodelle zwischen den Ländern bei Bildungseinrichtungen sind verstärkt Vorrang zu gewähren.

Die gegenseitige Anerkennung von Studien- und Ausbildungsabschlüssen ist zu gewährleisten, sowie international angelegte spezifische Ausbildungsgänge und -abschlüsse und internationale Studienprojekte sind verstärkt zu fördern.

9. Forderung : Medienkompetenz

Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologien

Die Informationsgesellschaft ist mehr als vorangegangene Gesellschaftsformen darauf angewiesen, dass Wissen verfügbar gemacht und der Zugang zu Information vereinfacht wird.

Das Bildungs- und Ausbildungssystem muss junge Menschen bereits früh mit dem Umgang modernster Informations- und Kommunikationstechnologien vertraut machen. Von der Fähigkeit, diese Technologien zu nutzen und zu steuern, wird in Zukunft ein Großteil des gesellschaftlichen Mitbestimmungspotentials abhängen. Vor allem ergeben sich aus einem Umgang mit diesen Informations- und Kommunikationstechnologien weitere Impulse für Innovationen, zahlreiche neue Berufsbilder zeugen von Kompensationseffekten. Es wird immer deutlicher, dass die Qualifikation zum Umgang mit neuen Technologien nicht mehr nur eine individuelle, sondern eine gesellschaftspolitische Zielsetzung höchsten Ranges sein muss. Daher müssen junge Menschen frühzeitig Medienkompetenz erwerben, im Sinne einer informationstechnischen Grundbildung sowie einer sinnvollen Nutzung von Informationen und individuellen zur Verfügungsstellung von Informationen.

Zugleich erfordert die im Zusammenhang mit den Informations- und Kommunikationstechnologien auftretende Dynamik der technischen Entwicklung und die Vielfalt der möglichen Anwendungen die Erkenntnis, dass künftige Entwicklungen nicht gelehrt und damit in den Griff genommen werden können, sondern dass in erster Linie das Umgehen mit Unsicherheit und unklar definierten und unklar strukturierten Situationen zur neuen Qualifikationsanforderung wird. Der individuellen und außerschulische Wissensvermittlung kommt verstärktes Gewicht zu.

10. Forderung: Forschung und Innovation stärken

Die baden-württembergische Forschungslandschaft zeichnet sich im Ländervergleich durch eine beispiellose Vielfalt aus; ihre Qualität ist unbestritten. Neben den Hochschuleinrichtungen tragen dazu insbesondere die Institute der Max-Planck-Gesellschaft und der Frauenhofer-Gesellschaft sowie eine Vielzahl weiterer, vom Land- bzw. vom Bund und den Ländern mitfinanzierten Forschungseinrichtungen bei. Auch die überdurchschnittliche Zahl von Sonderforschungsbereichen und Graduiertenkollegs ist ein Beleg für die hohe Qualität der baden-württembergischen Forschungslandschaft. Das Lehrstuhlerneuerungsprogramm, mit DM 100 Millionen aus der Zukunftsoffensive des Landes finanziert, wird dazu beitragen, diesen hohen Standard zu halten und auszubauen.

Das Aufkommen öffentlicher und privater Drittmittel, die von den Hochschulinstituten eingeworben werden, ist in den letzten Jahren beständig gestiegen; auch dies ist ein Ausweis der Qualität der dort betriebenen Forschung. Auch die leistungsbezogene Mittelzuweisung, die in den kommenden Jahren schrittweise eingeführt wird, wird dazu beitragen, dass sich die Forschungslandschaft weiter differenziert; der Wettbewerb wird dazu beitragen, auch im internationalen Maßstab Spitzenpositionen zu erringen und auszubauen.

Davon unabhängig aber sind verstärkte Anstrengungen erforderlich, die Umsetzung der Forschungsergebnisse in marktfähige Produkte und Verfahren zu verbessern und zu beschleunigen. Transferzentren der Steinbeiß-Stiftung, die zunächst an den Fachhochschulen, inzwischen aber in zunehmendem Maß auch an den Universitäten eingerichtet werden, dienen der Vermittlung und Umsetzung von Forschungsergebnissen insbesondere im Bereich kleinerer und mittlerer Unternehmen. Existenzgründungsberatungsstellen an den Hochschulen tragen dazu bei, das erhebliche Existenzgründungspotential, das an den Hochschulen vorhanden ist, verstärkt zu erschließen. Beide Wege wirtschaftlicher Umsetzung und Nutzung von Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung gilt es zu intensivieren. Mit der ebenfalls aus der Zukunftsoffensive mit DM 100 Millionen finanzierten Existenzgründungsoffensive leistet das Land hierzu einen ganz erheblichen Beitrag.

Die Finanzierung der Institute wirtschaftsnaher und technologieorientierter Forschung - z.B. das Forschungsinstitut für angewandte Wissensverarbeitung (FAW), das Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoffforschung (ZSW), das Institut für Mikroelektronik, das naturwissenschaftlich-mathematische Institut oder die Institute für Bekleidungsphysiologie, Pigment und Lackforschung, Zementforschung - ist verstärkt auf Projektförderung umzustellen. Soweit eine institutionelle Förderung weiterhin für erforderlich gehalten wird, ist eine regelmäßige unabhängige Evaluation der Qualität der Forschungsergebnisse und ihrer Nutzungsstrukturen durchzuführen.