Liberale Leitlinien für eine ökologische Marktwirtschaft

(Beschluss des 84. Ordentlichen Landesparteitages am 5. Januar 1994 in Stuttgart)

Die Lage:

Mit wachsender Zahl der Menschen wurden und werden die natürlichen Lebensbedingungen geschädigt. In den Entwicklungsländern durch die Folgen existentieller Armut, in den Industrieländern durch die Folgen ungeahnten Wirtschaftswachstums - auch in den Ländern mit marktwirtschaftlichen Systemen. Andererseits zeigen sich die erfolgreichsten Ansätze moderner Umweltpolitik gerade in marktwirtschaftlichen organisierten Ländern. Marktwirtschaft und Ökologie sind also weder geborene Verbündete noch unversöhnliche Gegensätze. Es kommt darauf an, den Ordnungsrahmen der Marktwirtschaft so zu setzen, dass der Markt als Steuerungsinstrument von Volkswirtschaften für Schutz der Umwelt und den sparsamen Umgang mit Ressourcen nutzbar gemacht wird.

Die Marktwirtschaft hat in der Vergangenheit bewiesen, dass sie ein gutes System ist, um mit knappen Gütern effektiv zu wirtschaften. Endliche Ressourcen und das ökologische Gleichgewicht unserer Lebensbedingungen sind solche knappen Güter. Also müssen sie innerhalb der definierten Rahmenbedingungen unserer marktwirtschaftlichen Ordnung im Gegensatz zu heute den Wert erhalten, der knappen Gütern zukommt. So verstanden, ist die Marktwirtschaft für die dauerhafte Sicherung der natürlichen Lebensbedingungen unverzichtbare Grundlage. Denn unter den geänderten Rahmenbedingungen zwingt eine liberale Wirtschaftsordnung mit Wettbewerb auf offenen Märkten, funktionsfähiger Eigentumsordnung und dem Verursacherprinzip zu sparsamem Umgang mit knappen Ressourcen. Deshalb liegt der F.D.P. daran, zu zeigen, dass es gerade die in der sozialen Marktwirtschaft gewährten Instrumente sind, die auch den Schutz der Umwelt am effektivsten umsetzen können.

Das Ziel ist es, die nachgewiesenen positiven Kräfte der sozialen Marktwirtschaft für die Wiederherstellung und den Erhalt der natürlichen Lebensbedingungen zu nutzen, um möglichst vielen Menschen ein angstfreies und selbstbestimmtes Leben in Gesundheit zu ermöglichen.

Der Weg:

Der liberale Ansatz heißt Freiwilligkeit, ergänzt durch lenkende Rahmenfestsetzungen. Das Ziel der Erhaltung von Wohlstand bei gleichzeitiger Schonung der Natur muss deshalb durch Vertrauen in der Selbstverantwortung des Menschen angestrebt werden; durch das Vertrauen in freiwillige Maßnahmen von Gewerbe, Handel und Industrie, in freiwillige Verhaltensänderungen der Menschen. Erst falls dies scheitert, müssen die notwendigen Lenkungseffekte durch Eingriffe des Gesetzgebers erzielt werden. Die Kunst liberaler Umweltpolitik besteht also darin, jeweils herauszufinden, wie ein konkretes Ziel mit einem Minimum an staatlichen Freiheitseingriffen erreicht werden kann. Das bedeutet im einzelnen:

a) Der Grundsatz der Freiwilligkeit:

Je mehr die am Markt Beteiligten - Produzenten, Handel und Verbraucher - von sich aus das ökologisch Erforderliche tun, desto häufiger wird der staatliche Eingriff in ihre Freiheiten entbehrlich. Beispiele sind Selbstverpflichtungen und Branchenabkommen wie das der Asbestzementindustrie oder der Produktionsverzicht auf Fluorkohlenwasserstoffe. Erfolgversprechende Selbstverpflichtungen sind dann wahrscheinlich, wenn die Unternehmen ohne Selbstverpflichtung staatliche Maßnahmen erwarten müssten, die in der Regel höhere Kostenverursachen.

Die Nutzung des Potentials des freiwilligen umweltschonenden Verhaltens setzt eine verbesserte Informationspolitik heraus: Offenlegung von Umweltdaten, Kennzeichnung von Produkten, Einbeziehung von Medien, Bürgerinitiativen und Verbänden in eine offensive Informationspolitik auf allen Ebenen.

b) Lenkungseingriffe:

- Die Entwicklung eines ökologisch orientierten Steuersystems ist für Umweltvorsorge und internationale Wettbewerbsfähigkeit besonders wichtig. Die zu hohe Belastung der Arbeit und der Kapitalbildung ist abzubauen, umweltschädigendes Verhalten stärker zu belasten. Nach diesem Grundsatz muss das bestehende Steuersystem auf Fehllenkungen durchforstet werden. Durch Senkung der Steuern auf Arbeitseinkommen und Ersparnisse müssen Leistungspotential und Innovationskraft von Wirtschaft und Privatbürgern freigesetzt werden. Der Spielraum, den die Steuersenkung bei Arbeitseinkommen und Ersparnis bringt, kann für ökologisch begründete Verbrauchssteuern und Steuererhöhungen genutzt werden, ohne aber die Summe aller Steuerbelastungen zu erhöhen. Nur so können auch soziale Verwerfungen durch ökologisch begründete Abgabenerhöhungen vermieden werden.

- Eine CO2-Energiesteuer wird eingeführt und in kalkulierbaren Stufen erhöht, um Anreize für sparsameren Energieverbrauch zu erzielen, energiebewussteres Verhalten zu belohnen. Regenerative Energien wie die Nutzung von Wasser-, Wind- und Sonnen- und Holzenergie werden von der Steuer freigestellt, so dass sie wettbewerbsfähiger gegenüber anderen Energieträgern werden.

- Die Kfz-Steuer wird abgeschafft und aufkommensneutral auf die Mineralölsteuer umgelegt. Diese Maßnahme hat Lenkungswirkungen bei stärker Verringerung des Verwaltungsaufwands. Seitherige Befreiungstatbestände (z. B. Schwerbehinderte) sind in anderer Weise im Steuerrecht zu gewährleisten.

- Die Mineralölsteuer wird stufenweise erhöht. Diese liberale Alternative zur staatlichen Festlegung von Verbrauchswerten und zur europaweiten Einführung einer Kaufsteuer für Kraftfahrzeuge gibt der Wirtschaft langfristige Planungssicherheit.

Die Steuervorteile für Verkehrsteilnehmer müssen unabhängig vom benutzten Verkehrsmittel gewährt werden (Entfernungspauschale).

- Lenkungsinstrumente (wie eine bundeseinheitliche Entsorgungssteuer, eine Einwegabgabe, Pfandsysteme und Rücknahmeverpflichtungen) sollen das Vermeidungspotential im Abfallbereich aktivieren und dazu führen, Waren zu produzieren, die rohstoffarm in der Herstellung, wiederverwendungsfähig, wiederverwertungsfreundlich und abfallarm bei der Entsorgung sind. Ziel ist ein Wirtschaftssystem mit geschlossenen Rohstoffkreisläufen, das sich an jeweils minimierten Umweltbeeinträchtigungen orientiert.

- Eine Bodenversiegelungssteuer fördert eine stärkere Verdichtung in der Bebauung und einen sparsamen Umgang mit dem knappen Gut "Grund und Boden".

c) Handelbare Umweltnutzungslizenzen:

In der breiten Palette marktwirtschaftlicher Instrumente im Umweltschutz von Produkthaftung über Pfandlösungen, Kompensationslösungen, Bonus/Malus-Anreizen bis zum Glockenprinzip spielen handelbare Umweltnutzungslizenzen eine besondere Rolle im liberalen Umweltkonzept, denn sie sind noch besser als Steuern geeignet, vorgegebene Umweltschutzziele zu minimalen Kosten für die Volkswirtschaft zu erreichen. Einsatzmöglichkeiten für den Handel mit Nutzungslizenzen liegen vor allem in der Luftreinhaltepolitik und im Bereich der Wasserwirtschaft. Lizenzen können aber auch in der Abfallwirtschaft (z. B. bei Einwegverpackungen), für bestimmte Stoffe (z.B. Düngemittel) oder für jegliche Mengenbegrenzung umweltschädlicher Produkte eingesetzt werden.

Nach amerikanischem Vorbild wird eine Euro-Börse für den Handel mit Umweltnutzungslizenzen für den Ausstoß von Luftschadstoffen geschaffen, die bis bisherige Großfeuerungsanlagenverordnung ersetzt.

Es werden maximal so viele Lizenzen zum Kauf angeboten, dass die staatlich festgelegte Höchstgrenze der Schadstoffbelastung nicht überschritten wird. Betriebsgenehmigungen werden vom Kauf der Nutzungslizenzen abhängig gemacht.

d) Der Stellenwert des Ordnungsrechts:

Wo Umweltschutz und Gefahrenabwehr nur durch den ersatzlosen Verzicht auf ein Produkt oder eine Verhaltensweise erzielt werden kann (gefährliche Stoffe, gefährdete Pflanzen, Lärm), kann die Aussöhnung zwischen Ökologie und Ökonomie nicht gelingen. In diesen Fällen gebietet auch der liberale politische Ansatz Eingriffe durch Ge- und Verbote. Die ökologische Weiterentwicklung der Marktwirtschaft kann auf das Ordnungsrecht nicht völlig verzichten. Aber dort wo es um die Reduzierung von Schadstoffmengen geht, können marktwirtschaftliche Instrumente des Umweltschutzes das herkömmliche Ordnungsrecht sehr wohl ersetzen.

Das Ordnungsrecht muss deshalb entrümpelt werden, damit es Innovationen für schnelle Erfolge im Umweltschutz nicht hemmt. Außerdem belastet das Ordnungsrecht je nach Unternehmensgröße unterschiedlich stark; besonders stark ist die mittelständische Wirtschaft belastet, damit Kreativität und Handlungsspielraum der Selbständigen eingeschränkt. Deshalb müssen die Chancen genutzt werden, ordnungsrechtliche Regelungen durch marktwirtschaftliche Instrumente zu ersetzen.

e) Privatisierung von Umweltleistungen:

Kreativität, höhere Produktivität und Beweglichkeit privater Unternehmen müssen auch für den Umweltschutz verstärkt genutzt werden. Vor allem in den neuen Bundesländern ist dies Voraussetzung, damit hohe ökologische Standards schnell erreicht werden. Die F.D.P. fordert daher den konsequenten Einsatz von privatem Management und Kapital in Bau, Umbau und Betrieb von Wasser-, Abwasser- und Abfallanlagen. Auch die Durchführung von hoheitlichen Maßnahmen (nicht der Erlass von Anordnungen!) soll im Zweifelsfalle im privatwirtschaftlichen Bereich erfolgen (Messungen, Laboruntersuchungen).

f) Subventionsabbau:

Subventionen sind abzubauen, wo sie umweltschädigendes Verhalten belohnen (z.B. Agrarüberproduktion).

Ökologische Marktwirtschaft und Europa

Innovativer Umweltschutz ist Motor für Wachstum und stärkt Deutschlands Position als führender Exporteur von Umwelttechnologien. Die Umwelttechnologien haben derzeit weltweit die größten Umsatzzuwächse. Ein Warten auf "europäische Lösungen" darf national notwendige Rahmenmaßnahmen deshalb nicht verhindern. Allerdings müssen einheitliche europäische Normen das Ziel bleiben, um einer ökologisch ausgerichteten Marktwirtschaft verlässliche Rahmenbedingungen auf dem gemeinsamen Markt zu geben.

Der Landesverband Baden-Württemberg bringt diesen Beschluss als Antrag zum nächsten Bundesparteitag ein.